
Graetz Musica 4R/217
Die Geschichte des Graetz 4R/217 von
1955/56 hatte ein Happy End um es erst einmal abzukürzen. Schon als
12 Jähriger interessierte mich diese Technik. Da gab es den
Sperrmüll der damaligen Zeit der draußen einfach aufgeschichtet
wurde. Für uns Jungens der Hobby-Elektronik waren das echte
Fundgruben und zum Leidwesen der Eltern. Mal war es ein altes
Röhrenradio, oder wieder ein gut erhaltenes Röhrentonbandgerät. Ich
erinnere mich auch daran, dass manche Dinge auch gar nicht kaputt
waren sondern einfach nur dem Fortschritt weichen mussten.
Im Familienbesitz gibt es seit 1965 ein Neckermann Körting Hamburg.
Damit wurde tatsächlich noch die Diskothek im WDR gehört und auf
einem damaligen Grundig Tonbandgerät mitgeschnitten. So war die Zeit und
später musste auch Körting & Co. noch im Röhrenzeitalter dem
Fortschritt weichen.
Heute ist es anders und der Vintage-Style wird auf diversen Artikeln wieder angewendet. Aber die echten alten Röhrenradios haben so ihre Probleme. Einmal durch ihr Alter und deren Bauteile und zum anderen der „Bastel-Wut“ einiger Zeitgenossen die nicht wissen was sie tun. Da wurde dann mal ebenen so lange an den Filtern herumgedreht bis man den Polizeifunk hören konnte. Dabei blieb es dann in der Regel auch und der Empfänger war anschließend total verstimmt und stumm. Diverse „Möchtegern“ HiFi-Röhren-Voodoo Zauberer bedienen sich der HF Röhren die in der Regel aus technischer Sicht in NF Bereich nichts verloren haben. Da wäre die ECC85 um nur diese eine erst einmal zu nennen, eine HF Röhre die in der Regel bei vielen Radiogeräten im UKW-Teil steckt. Ein Ärgernis über diese „Freaks“ die den Glauben vertreiben das nur diese Röhren Beethovens Sinfonie XYZ herüberbringen.
Wie oder was restauriert man oder repariert man? Eine Frage die jeder Röhrenliebhaber sich selbst stellt und sich für einen Umfang der Arbeiten entscheidet. Was sollte so belassen werden und was sollte man restaurieren bzw. nur reparieren. Da wäre einmal festzustellen ob das Gehäuse überhaupt überarbeitet werden muss. Man könnte alles an Zierleisten und Bespannung abnehmen und einen echten Neuaufbau starten. Aus meiner Sicht nimmt man dem Gerät so die Würde und die eine oder andere Schramme sind als Jahresringe zu bezeichnen. So ein Gerät neuwertig anzusehen ist schon eine Hausnummer, aber es ist ja nicht nur die Kosmetik die entscheidet. Die Technik hat immer Probleme und hier sollte man erst einmal ansetzen. Zumindest ist es meine Vorgehensweise bevor ich überhaupt das Gehäuse ansehnlich überarbeite.
Ein sonniger Frühlingstag und der
Spaziergang an einer der abgelegenen Häuser in unserer Umgebung war
der Anlass ein altes Radio wiederzubeleben. Ich erblickte zunächst
nur die Rückseite des Gerätes was auf einem Sperrmüllberg stand, und
als ich es umdrehte stand vor mir ein Graetz 4R von 1955. Nach den
Aussagen des früheren Besitzers stand dieses Gerät Jahrzehnte in
einer Gartenlaube. Von der einstigen schönen Lackierung war nicht
mehr viel zusehen. Schmutz und diverse Schrammen waren die
Zeitzeugen einer längst vergangenen Technologie. Einen geschenkten
Gaul schaut man nicht ins Maul, somit begann mein Projekt den alten
Graetz wiederzubeleben.
Schön sah er nicht mehr aus, immerhin komplett und augenscheinlich nicht verbastelt. Nach dem sanften „Schubs“ der Netzspannung und deren Starthilfe fing das Gerät an zu rauschen. Ah…Lebenszeichen in der gesamten Schaltung. Im MW Betrieb breitete sich ein erhebliches Störgeräusch aus, diesbezüglich auf dem gesamten Mittelwellenbereich. Der Ursprung der Störungen war zunächst nebensächlich aber es entpuppte sich ein Ladegerät als Übeltäter was in unmittelbarer Nähe stand. Zunächst waren die üblichen Probleme wie Umschaltleiste etc. merklich mit „knacken und krachen“ behaftet. Das ergab sich allerdings fast von alleine.
Der 4R spielte letztlich ordentlich bis zu einer gewissen Temperatur. Nach einer guten Viertelstunde krachte es laut aus dem Lautsprecher und ein Defekt kündigte sich so an. Der Übeltäter war schnell gefunden und der Koppelkondensator aus der EABC80 zu der Endröhre ließ erheblich Anodenspannung auf das Steuergitter der EL84 fließen. Die Endröhre lief so aus dem Arbeitspunkt und zog einen erheblichen Anodenstrom. Die Röhre hatte es überlebt und auch sonst war es wohl sogar die original Bestückung der damaligen Zeit. Nach dem Austausch des Kondensators zog es mich mit einem Ohmmeter bewaffnet durch die ganze NF Schaltung. Auffällig war hier, dass das Klangregelnetzwerk nur widerwillig funktionierte und ab einer bestimmten Lautstärkestellung es heftig klirrte und koppelte.
Das Potentiometer
für die Lautstärke hat hier eine Mittelanzapfung und über eine
Rückkopplung wird die gehörrichtige Klanganhebung realisiert. Im Augenschein der Kondensatoren waren
hier einige der „ELO“ Kondensatoren faul. Letztlich flogen alle
diese Kondensatoren aus der Schaltung und wurden ersetzt. Die Freude daran war aber nur
kurzlebig, denn eine alte Röhrenschaltung hat durchaus ein
Eigenleben. Nach einigen Betriebsstunden war dann auch Schluss mit
Lustig und der Elko hinter dem Selengleichrichter hatte einen fetten
Kurzschluss. Der verbaute Typ war ein doppelter Elko in einem
Gehäuse. Auf der einen Seite könnte man jetzt nach heutigem Stand
der Technik in dem vorhandenen Bechergehäuse zwecks Erhaltung der
Authentizität einen neuen verstecken. Aber letztlich geht es hier um
die Betriebssicherheit.
Der
Selengleichrichter hat bei diesem Gerät keine Absicherung. Das
heißt, sollte es aus
irgend einen Grund primärseitig einen Kurzschluss geben wird der
Transformator unter Umständen verbrennen! Daher wurde die Schaltung
im Netzteil etwas modifiziert indem diese primär vor dem
Selengleichrichter abgesichert wurde. Der Kondensator wurde durch
einen neuen Bautyp ersetzt.
Der Graetz 4R/217 war nicht die teuerste Variante der 4R Serie aber
mit gut 300DM der damaligen Zeit eine ziemlich teure Anschaffung für
die ganze Familie. Die Qualität der damaligen Rundfunkgeräte war
sehr gut. Letztlich war noch sehr viel Handarbeit nötig und
reparieren konnte man ein Gerät in der Regel immer. Schon damals
zeigten sich Mängel bei den Kondensatoren und die WIMA Kondensatoren
fallen heute immer auf. Der Grund ist einfach, denn WIMA waren keine
schlechten Kondensatoren, aber nach mehr als sechs Jahrzehnte ist
auch deren Haltbarkeit längst abgelaufen. Da die WIMA Kondensatoren
bei den meisten Herstellern Verwendung fanden sollte es nicht
verwundern, dass es heute auffällig erscheint. Die damalige Technik
stützte sich auf Röhren die vorzeitig ausfallen konnten, dass
änderte sich in zunehmendem Alter des Gerätes. In den ersten 2
Jahren waren in der Regel die magischen Augen schon erheblich dunkel
oder gar ausgefallen. Die Röhrenindustrie verbesserte zwar die
Röhren, aber letztlich blieb und bleibt die Röhre als solches ein
Verschleißteil. Ein Platz für die Feinsicherung musste her. Auf dem
Chassis gibt es genug Möglichkeiten einen Sicherungshalter zu
montieren. Ein leerer Platzhalter für eine zusätzliche Komponente
eignete sich sehr gut dafür.
Die Position erlaubt eine gute Zugänglichkeit bei einem Defekt der
Sicherung. Auf der anderen Seite ist der Eingriff moderat was die
Originalität des Gerätes betrifft. Die Reinigung des Chassis ist
etwas mühsam. Mit einem kleinen Pinsel und Waschbenzin geht es an
den "Dreck" der vergangenen Jahrzehnte. Es gibt durchaus brachiale
Methoden um das Chassis zu reinigen, aber glauben sie mir, es ist
besser sich die Mühe zu machen um nicht weitere Fehler mit
unsachgemäßen Maßnahmen zu provozieren. Dazu zählen Facebook
Halbwissen & Dr. Google. Letztlich möchte man keine Feuchtigkeit in
irgend welchen Transformatorenwicklungen oder gar ZF Filter etc.
Die damalige Technik wurde innerhalb und auf einem Chassis aufgebaut. Dabei waren in der Regel die Bauteile wie Kondensatoren, Widerstände etc. unterhalb der Röhrensockel mit Lötleisten verdrahtet. Oberhalb des Chassis waren die Röhren nebst Sockel wie auch die Filter platziert. Ein einfacher Aufbau der allerdings bei einer Reparatur den Schweiß auf der Stirn treibt. Bei der Herstellung arbeitete man mit Verdrahtungsplänen damit jede Position der Bauteile innerhalb der Serie gleich aufgebaut wurden. So konnte man in den Schaltplänen entsprechend bebildert schauen wo der eine oder andere Kondensator etc. lag. Eine falsche Verdrahtung war nicht selten und spätestens bei der ersten Prüfung musste man nachbessern.
Das Chassis des Graetz Musica 4R/217
Die untere Seite zeigt den "Drahtverhau" der ganz ohne gedruckte Schaltungen auskam. Erfunden war es schon, aber diese Bauweise hielt sich bis in den späten 1950 Jahren. Erst in den 1960 Jahren wurden die Geräte mit gedruckten Schaltungen ausgestattet.
Ein damaliges Rundfunkgerät war nicht irgend ein Beistellgerät so wie es heute ist. Das waren keine Plastik-Kisten, vielmehr waren es Möbelstücke und zugleich ein Blickfang. Verziert mit Messingrahmen, abgesetzte Skalenscheiben passend zum Gehäusedesign. Die Nierenform der damaligen Mode spiegelt sich hier wieder. Um den alten Empfänger zu bedienen musste man nicht seitenweise Bedienungsanleitungen studieren.
Der alte Musica sollte ein zweites Leben bekommen und der Begriff "Nachhaltigkeit" kann man hier wörtlich nehmen. Geschliffen, geschmirgelt, lackiert und poliert. So musste erst einmal die Grundsubtanz des Gehäuses hergerichtet werden. Denn die Technik funktionierte ja schon und wartete auf Vervollständigung.
Das
Gehäuse wurde zunächst mit einem feinen Schmirgelpapier
vorbehandelt. Die obere Seite machte mir größere Probleme, da hier
teilweise eine Verwitterung vorhanden war. Das Gerät stand sehr
viele Jahre in einer feuchten Gartenlaube, was sicherlich
kontraproduktiv für dem Erhalt war. Daher entschied ich mich für
einen kompletten Schliff mit einem Exzenterschleifer für die
Oberseite und einer dunklen Beize. Um den Farbton zu treffen musste
mehrmals gebeizt werden. Letztlich konnte ich so das komplette
Gehäuse mit neuem Klarlack versehen.
Die ausgebaute Schallwand war gut erhalten. Um das Holz der Schallwand nicht zu stressen, wurde dieser mit AC-Pure vorbehandelt. So konnte ich viel "Dreck" aus dem Stoff entfernen. Kleinere Verunreinigungen hätte man noch entfernen können, aber der original Stoff ist nicht mehr zu bekommen. Das heißt, wenn es schief geht und die Bespannung auseinander fällt, muss man auf eine Alternative zurück greifen.
Wenn man genau hinsieht, sieht man im Randbereich der Schallwand den ursprünglichen Farbton des Stoffes. Der Zahn der Zeit wie auch UV Einflüsse haben den Stoff etwas ausgeblichen.
Im weiteren Verlauf wurde das Gehäuse mit handelsüblichen Klarlack lackiert. Teilweise zeigen die unteren Bilder schon die Vormontage. Die für Tastatur und Potentiometer - Abdeckung eingelassene Bakelit-Leiste wurde vor der Lackierung ebenso ausgebaut.
Soweit vormontiert und es fehlt das Chassis und die Lautsprecher.
Aufpoliert, gestriegelt und lackiert, dass kann sich sehen lassen! Der Graetz Musica an seinem neuen Platz.